Das Bundesfamilienministerium plant eine Fördermittelkürzung um 5 % bei jedem Mehrgenerationenhaus in Deutschland. Dagegen machten das Bundesnetzwerk, die Landesverbände und die Einrichtungen mobil und sammelten Unterschriften.

33 492 Unterschriften gingen online bei einer Petition bei change.org ein, und 16 622 Unterschriften (beides Stand: 06.10.2023) wurden persönlich an Saskia Esken, die Parteivorsitzende der SPD und Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt übergeben. Bei einem Besuch im Mehrgenerationenhaus Familien-Zentrum-Freudenstadt e.V. tauschte sich Frau Esken mit den Vertreterinnen aus und nahm die Unterschriften entgegen.

Von links nach rechts: MdB Saskia Esken, Dorothea Brust-Etzel, Ankica Rukavina, Marianne Reißing und Claudia Schwarz (Foto: Katharina Biegler, FZF)


Claudia Schwarz aus der Geschäftsstelle des Bundesnetzwerks fand klare Worte: „Die Kürzung der Mehrgenerationenhäuser und des Bundesnetzwerkes ist eine Abkehr vom Politikziel ‚Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘. Sie muss deshalb zurückgenommen werden! Mehrgenerationenhäuser wirken und bewegen Menschen – davon kann sich jede und jeder selbst überzeugen. Unsere Erfahrung und die Gewissheit, dass das, was wir tun, sinnvoll ist, wird uns auch durch diese schwierige Zeit tragen“. Neben der Kürzung bei den Einrichtungen soll auch das Bundesnetzwerk künftig nur noch die Hälfte der Fördermittel bekommen, das mit der aktuellen Summe von fast 60.000 € schon sehr knapp ausgestattet ist.
Marianne Reißing, ehrenamtliche Vorständin im Familien-Zentrum-Freudenstadt, drückte ihre Enttäuschung aus, denn die Förderung von 40.000 € bisher pro Mehrgenerationenhaus ist schon lange nicht ausreichend. Sie selbst engagiert sich neben dem Wirken vor Ort noch ehrenamtlich als Sprecherrätin im Landesverband und als Delegierte im Bundesnetzwerk. Reißing kennt die Einrichtungen von der ersten Stunde an und weiß, in welcher prekären Lage nun viele Mehrgenerationenhäuser sind. Nach einem hohen Engagement während der Krisen in den letzten Jahren und auch aktuell müssen die Verantwortlichen nun überlegen, welche Angebote gestrichen werden. Diese Entscheidung fällt nicht leicht, zumal die Aufgabenfülle und Herausforderungen immer mehr werden, zum Beispiel Kinderarmut, Vereinsamung oder Integration.
Auch Dorothea Brust-Etzel, Vorständin der Landesarbeitsgemeinschaft, engagiert sich zusätzlich auf Bundesebene und hat kein Verständnis, dass die mühsam aufgebauten und größtenteils ehrenamtlich getragenen Strukturen geschwächt werden. „In den Mehrgenerationenhäusern sind alle Menschen willkommen, unabhängig von Alter oder Herkunft. Die Entwicklungen in unserer Gesellschaft zeigen mehr denn je, wie wichtig der soziale Zusammenhalt und Orte der Demokratie sind“, ergänzte Ankica Rukavina, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft in Baden-Württemberg.

Mit dem plakativen Spruch „Die Mehrgenerationenhäuser brauchen Mäuse!“ und symbolischen weißen Mäusen aus Schaumzucker überreichten die Akteurinnen aus den Mehrgenerationenhäuser die Unterschriften an die Abgeordnete Esken mit der dringenden Bitte sich in Berlin gegen die Kürzung einzusetzen und die Mehrgenerationenhäuser und das Bundesnetzwerk zu retten. Esken schätzt die Arbeit der Einrichtungen: „Wenn es die Mehrgenerationenhäuser nicht gäbe, müsste man sie erfinden“. Eine Abwendung der Kürzung konnte sie nicht versprechen, aber sie werde sich als Abgeordnete dafür einsetzen, denn der Haushalt sei „Königsrecht des Parlaments“.

Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesnetzwerk Mehrgenerationenhäuser und der Landesarbeitsgemeinschaft Mehrgenerationenhäuser Baden-Württemberg (Freudenstadt, 06.10.2023)

Pressemitteilung
07.07.2023

Kürzung bei den Mehrgenerationenhäuser hat Folgen

Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser ab 2024 gekürzt. Eine Streichung mit großer Signalwirkung, sind sich die Sprecherrätinnen der Landesarbeitsgemeinschaft Mehrgenerationenhäuser in Baden-Württemberg einig. Die aktuelle Förderung von 40.000 € pro Jahr wird um 5 % reduziert.

Es sind die Mehrgenerationenhäuser, die in den Krisen einspringen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Schon seit Einführung des Bundesprogramms 2006 und ganz besonders in den letzten Jahren, die geprägt waren von der Pandemie, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der erneuten Flüchtlingswelle und natürlich der Energiekrise und Inflation. Die Mehrgenerationenhäuser haben schon mehrfach bewiesen, dass sie systemrelevant sind. Große gesellschaftliche Themen werden frühzeitig angepackt. So sind für die Mehrgenerationenhäuser etwa Digitalisierung, Kinderarmut oder Vereinsamung keine neuen Aufgaben, sondern schon längst im Fokus der Verantwortlichen.

Seit Jahren sind die Mehrgenerationenhäuser unter finanziellem Druck, denn für die meisten Zusatzaufgaben gibt es keine zusätzlichen Mittel. Es gibt keine langfristig gesicherte Finanzierung seitens des Bundes, das aktuelle Förderprogramm endet 2028. Andere projektbezogene Fördertöpfe bringen neue Aufgaben mit sich, oft ohne personelle Ressourcen aufzustocken. Sind die Mittel ausgelaufen, bleibt die Aufgabe oft bestehen.

Das Herausragende an den Mehrgenerationenhäusern ist, dass der Mensch in seiner Vielfalt im Mittelpunkt steht, es sind Begegnungsorte für alle Menschen jeden Alters und jeder Kultur. Diese besondere Willkommenskultur lädt die Menschen ein zu bleiben und sich im Idealfall für die Gesellschaft zu engagieren. Ehrenamt und Hauptamt ergänzen sich. Mehrgenerationenhäuser sind Orte der Demokratie, denn Beteiligung ist ausdrücklich erwünscht, und sie bieten verlässliche Strukturen im sozialen Nahraum für alle. Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen, wie fragil unsere Gesellschaft nach den Krisen ist. Die Notwendigkeit einer guten, sozialen Infrastruktur ist deutlicher denn je.

 „Nach der Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums, die auch uns überraschte, sendeten unsere Mitgliedseinrichtungen schon die ersten Hilferufe“, so Katrin Ballandies aus dem Sprecherrat der Landesarbeitsgemeinschaft. Die Landschaft der Mehrgenerationenhäuser, ihre Trägerstruktur ist vielfältig, auch das ist ein besonderes Merkmal. Die Kürzung bringt einige der Einrichtungen, insbesondere die kleinen Träger wie Vereine, unvermittelt an ihre Grenzen. Einschneidend ist die Maßnahme für alle.
Die Arbeitsbelastung in den Mehrgenerationenhäuser war in den letzten Jahren sehr hoch. Haupt- und ehrenamtliche Kräfte engagieren sich aus Überzeugung, und nun müssen sie in die Planung gehen, welche Angebote gekürzt werden. Sprecherrätin Dorothea Brust-Etzel berichtet: „Im Mehrgenerationenhaus bedeutet die Mittelkürzung, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wo gestrichen wird, bei Kindern, Jugendlichen oder Familien, die noch immer mit den Folgen der Pandemie kämpfen, oder bei den Menschen, die sich integrieren möchten, oder lassen wir die einsamen, vielleicht älteren Menschen, alleine?“. Die Folgekosten für die daraus resultierenden Maßnahmen werden deutlich höher sein. Dieser kausale Zusammenhang sollte den Verantwortlichen seit Jahren bekannt sein.